Zur Geschichte der Ägyptologie an der LMU München
Ein Kurzüberblick von Friedrich Wilhelm von Bissing bis Hans Wolfgang Müller
von Martina Ullmann und Friedhelm Hoffmann
(Dieser für die Institutswebseite leicht überarbeitete Beitrag erschien in MAAT, Nachrichten aus dem Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst München 29/2023, S. 18–27)
Am 1. Oktober 2023 jährte sich zum hundertsten Male die Berufung von Wilhelm Spiegelberg (15.6.1870–23.12.1930) zum ordentlichen Professor für Ägyptologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Dies war der Anlass für den folgenden knappen Überblick zur Entwicklung der Ägyptologie an der Münchner Universität, wobei wir uns vor allem auf die Aufbauphase in der ersten Hälfte des 20. Jhs. konzentrieren.
Die Ernennung Spiegelbergs zum Wintersemester 1923/4 markiert einen wichtigen Einschnitt für die Ägyptologie in München, aber mitnichten deren Beginn. Bereits 1869 wurde Franz Joseph Lauth (18.2.1822–11.2.1895) zum (unbezahlten) Honorarprofessor für Ägyptologie an der LMU ernannt. Lauth war Klassischer Philologe, beschäftigte sich aber seit den späten 1850er Jahren mit dem Alten Ägypten und war als Konservator zuständig für die ägyptischen Altertümer am kgl. Antiquarium. 1865 hatte er einen ersten Katalog der ägyptischen Altertümer in München herausgegeben, die zu der Zeit auf drei Sammlungen verteilt waren: Antiquarium, Glyptothek, Vereinigte Sammlungen König Ludwigs I. Vom Wintersemester 1869/70 an bot er jedes Semester 2–3 Kurse in ägyptischer Sprache, Religion, Geschichte und zu Objekten in den Sammlungen Münchens an.
Als er seine Lehrtätigkeit 1891 beendete, gab es zunächst keinen Nachfolger. Erst 1898 wurde Karl Dyroff (25.2.1862–12.11.1938) die Lehrbefugnis für Ägyptologie und semitische Sprachen an der LMU erteilt. Er konzentrierte sich in seinen Kursen vor allem auf die ägyptische Sprache, war aber auch Kustos und später Konservator der ägyptischen Abteilung des kgl. Antiquariums sowie des Museums Antiker Kleinkunst (bis 1924).
Abb. 1 (links): Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing; © Foto: Theodor Hilsdorf, gemeinfrei.
Abb. 2 (rechts): Palais Bissing, Georgenstraße 10 im Jahr 1903; © gemeinfrei.
Wenige Jahre später wurde die Ägyptologie an der Münchner Universität durch die Ernennung von Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing (22.4.1873–12.1.1956) (Abb. 1) am 16. September 1901 zum Privatdozenten für ägyptische Altertumskunde personell und inhaltlich erweitert, was für die künftige Entwicklung des Faches in München richtungweisend war. Von Bissing legte den Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit ab dem Sommersemester 1902 auf ägyptische Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte. Ihm war wichtig, das Alte Ägypten nicht isoliert zu betrachten, sondern im Kontext des Alten Orients. 1906 wurde die Ägyptologie an der LMU durch die gleichzeitige Ernennung von Bissings zum ordentlichen Professor für Ägyptologie und orientalische Altertumskunde und Dyroffs zum außerordentlichen Professor deutlich aufgewertet (Ernennungsurkunde vom 18. Januar 1906). Da von Bissing sehr vermögend war, verzichtete er auf ein Gehalt und unterrichtete in eigenen Räumen in seinem „Palais Bissing“ in der Georgenstr. 10–12 (Abb. 2). Die Studenten konnten dort seine exzellente Bibliothek nutzen und profitierten von seiner umfangreichen Sammlung ägyptischer Altertümer, die ein breites Anschauungsmaterial für den Unterricht zur Verfügung stellte. Für die Universität war dieses Arrangement äußerst vorteilhaft: Man konnte nun vollumfänglich Ägyptologie studieren, ohne dass die Universität dafür eigene Mittel aufbringen musste.
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs änderten sich die Bedingungen dramatisch: von Bissings finanzielle Situation hatte sich verschlechtert und er haderte als überzeugter Deutschnationaler mit den neuen politischen Verhältnissen. Dies führte zum Verkauf des Anwesens in der Georgenstraße und zum Umzug auf seinen Landsitz in Oberaudorf am Inn. Die Philosophische Fakultät war daher seit Mitte 1920 bemüht, Räume für ein ägyptologisches Seminar im Hauptgebäude der Universität zugewiesen zu bekommen, inklusive einer eigenen Bibliothek. Bevor es dazu kam, entschloss sich von Bissing, den in seinen Augen unerträglichen Zuständen in Deutschland den Rücken zu kehren und mit seiner Sammlung nach Utrecht umzuziehen. Auf seine Bitten hin wurde vorher seine bis dato unbezahlte ordentliche Professur ab dem 1.4.1922 in eine mit Gehalt umgewandelt. Da er aber auf eigenes Ersuchen zum 1. Oktober 1922 aus dem Dienst ausschied, um nach Utrecht zu gehen, musste die LMU seine Professur neu ausschreiben und endlich Ernst machen mit der Einrichtung eines ägyptologischen Seminars in ihren eigenen Räumen. Von Bissing wollte seinem Nachfolger die Annahme des Rufes erleichtern und spendete einen Teil seines Gehaltes vom April bis September 1922 „für die Zwecke des neu zu errichtenden Seminars für Aegyptologie und Vorderasiatische Altertumskunde … Ich wünschte meinem Nachfolger die Möglichkeit zu geben das Seminar sofort einigermassen auszustatten. Es ist meine Bitte, dass bei den Anschaffungen neben der Aegyptologie auch Vorderasien und zwar vorzugsweise nach der archaeologischen Seite hin berücksichtigt werde“ (Universitätsarchiv O-VIII-2, Bd. 7, Schreiben von Bissings an den Rektor vom 19.9.1922).
Am 2.4.1923 genehmigte das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus der Universität endlich die Errichtung eines „Seminars für Ägyptologie und vorderasiatische Altertumskunde“, das einstweilen durch die Professoren Fritz Hommel (für semitische Philologie) und Walter Otto (für Alte Geschichte) geleitet wurde, und stellte Gelder für erste Anschaffungen zur Verfügung.
Die Wiederbesetzung der Professur war nicht ganz konfliktfrei: Kurt Sethe und Herrmann Junker lehnten einen Ruf nach München ab, woraufhin sich die Fakultät auf Wilhelm Spiegelberg (15.6.1870– 23.12.1930, Abb. 3) einigte. Er wurde am 23.6.1923 (mit Wirkung ab 1.10.1923), zum ordentlichen Professor für Ägyptologie ernannt – allerdings sehr zum Missfallen von Bissings, denn Spiegelbergs wissenschaftlicher Schwerpunkt lag auf der ägyptischen Philologie, d. h. die Professur berücksichtigte nun nicht mehr die orientalische Altertumskunde. Dies führte zu einigen administrativen Verrenkungen: Da die LMU nicht auf die Spende von Bissings (siehe oben) verzichten wollte, die aber eine Einheit von Ägyptologie und vorderasiatischer Altertumskunde voraussetzte, vereinigte man kurzerhand mit Wirkung vom 1.4.1924 das ägyptologische Seminar und das für semitische Philologie zu einem „Institut für Ägyptologie und vorderasiatische Altertumskunde“. In diesem Institut waren das Seminar für Ägyptologie sowie das Seminar für semitische Philologie und vorderasiatische Altertumskunde zwei selbstständige Abteilungen mit je eigenem Haushalt. Nur zwei Jahre später gab man dieses Konstrukt zugunsten zweier eigenständiger Seminare wieder auf. Ab dem 1. Juli 1926 existierten daher ein „Seminar für Ägyptologie“ und ein „Seminar für Semitistik, vorderasiatische Altertumskunde und Islamwissenschaft“.
Abb. 3 (links): Wilhelm Spiegelberg (aus ZÄS 66, 1931, Tafel nach S. 74).
Abb. 4 (rechts): Exlibris Spiegelberg (aus dem Institutsexemplar von A. Erman, Grammaire egyptienne, Le Caire 1914).
Das ägyptologische Seminar war seit Oktober 1923 zunächst im Raum 144 im Erdgeschoss des Hauptgebäudes (heute F 009+009A) untergebracht. An der Universität herrschte damals große Raumnot, doch Spiegelberg gelang es 1926, „zwei eigens hergerichtete Zimmer im ersten Stock des Südflügels der Universität (Nr. 224a)“ (so Spiegelberg in einem Bericht zum Seminar von 1926) zugewiesen zu bekommen. Dieser Trakt wurde im 2. Weltkrieg schwer beschädigt, sodass diese Räume heute nicht mehr existieren.
Spiegelberg war vor seiner Berufung nach München schon Ordinarius an der Universität im damals zum Deutschen Reich gehörenden Straßburg gewesen, musste aber in Folge der deutschen Niederlage im 1. Weltkrieg Straßburg verlassen. Er besaß also bereits Erfahrung in der Leitung eines Instituts und so gelang es ihm mit viel Tatkraft, gepaart mit großem Geschick im persönlichen Umgang mit Kollegen und Sponsoren, innerhalb weniger Jahre „ein gut ausgestattetes Seminar für alle Zweige der Ägyptologie zu schaffen“ (Spiegelberg 1926), mit einer Fachbibliothek und einer Photo- und Diasammlung. Letztere fiel leider einem Bombenangriff im 2. Weltkrieg zum Opfer. Auch Gelder für eine erste studentische Hilfskraftstelle wurden bewilligt und mit einem Studenten Spiegelbergs besetzt, der später selbst einmal Ordinarius in München werden sollte: Hans Wolfgang Müller (18.8.1907–6.2.1991). Ab 1927 stand Spiegelberg übrigens in Kontakt mit Thomas Mann, der das Institut aufsuchte, um ägyptologische Hilfestellung bei der Abfassung der „Josephsromane“ zu erhalten. Kurz vor Weihnachten 1930 verstarb Spiegelberg unerwartet an den Folgen einer Operation. In der heutigen Institutsbibliothek ist er noch durch zahlreiche Bücher aus seinem Privatbesitz präsent (zu erkennen an seinem Exlibris, Abb. 4), die seine Witwe dem Seminar 1932 zunächst als Leihgabe zur Verfügung stellte und die sein Nachfolger größtenteils sukzessive aufkaufen konnte.
Abb. 5: Alexander Scharff (aus ZÄS 79, 1954, Tafel nach S. X).
Damit war der Münchner Lehrstuhl für Ägyptologie bereits nach wenigen Jahren erneut verwaist, bis am 1. April 1932 Alexander Scharff (26.02.1892–12.11.1950, Abb. 5) die Professur übernahm. Scharff hatte weitreichende Pläne in Bezug auf das Seminar und die ägyptischen Sammlungen Münchens, welche die Münchner Ägyptologie entscheidend veränderten. Scharff war vor seiner Berufung nach München Kustos bei der Ägyptischen Abteilung der Berliner Museen gewesen, sein Hauptinteresse galt der ägyptischen Kunstgeschichte sowie der archäologischen Forschung. Er drängte bereits bei seinen Berufungsverhandlungen im September 1931 darauf, alle in München befindlichen ägyptischen Objekte des bayerischen Staates, die damals teils zur Glyptothek und teils zum Museum antiker Kleinkunst in der Neuen Staatsgalerie gehörten, in einer eigenständigen Ägyptischen Sammlung zusammenzubringen, räumlich vereinigt mit dem Seminar, um die Stücke so zugleich als Studiensammlung im Unterricht nutzen zu können. Er hatte auch einen Vorschlag zur Unterbringung von Seminar und Sammlung parat, und zwar in einigen Erdgeschossräumen des Hofgartenflügels der Münchner Residenz. Tatsächlich gelang es ihm, diese Forderungen weitgehend durchzusetzen. So zog das Seminar zum 1.12.1932 in fünf Räume im sog. Festsaalbau der Residenz ein. Etwa gleichzeitig wurde die Ägyptische Abteilung des Museums antiker Kleinkunst von der Neuen Staatsgalerie am Königsplatz in die Residenz, in fünf weitere dem Seminar benachbarte Räume verbracht. Hier wurde die Sammlung bald um größere ägyptische Objekte vermehrt, die als Leihgaben aus dem Magazin der Glyptothek kamen. Insgesamt umfassten die Räume des Seminars und der Sammlung rund 310 m2 (Abb. 6). Eine beträchtliche Anzahl weiterer Objekte wurde der Sammlung durch von Bissing, teils als Leihgabe, teils als Schenkung, überlassen. Parallel dazu wurde Scharff im Mai 1933 mit der wissenschaftlichen Leitung der Ägyptischen Sammlung beauftragt (ohne Vergütung), und im März 1935 wurde die Sammlung aus dem Geschäftsbereich der Antikensammlungen herausgelöst und als selbstständige Sammlung der Verwaltung der wissenschaftlichen Sammlungen des bayerischen Staates unterstellt. Zum Direktor dieser neuen Ägyptischen Staatssammlung wurde Scharff ernannt (ohne Vergütung). In der Folgezeit gelang es ihm, die Bestände durch Ankäufe und Schenkungen kontinuierlich zu erweitern. In den Sommermonaten war die Ägyptische Sammlung im Rahmen eines normalen Museumsbetriebs öffentlich zugänglich und erfreute sich regen Besuchs. Scharff selbst sowie fortgeschrittene Studenten boten regelmäßig kostenlose Führungen durch die Ausstellung an.
Abb. 6: Grundriss der Räume des ägyptologischen Seminars (blau) und der Ägyptischen Staatssammlung (grün) im Festsaaltrakt der Münchner Residenz vom Mai 1933; © Staatsarchiv München, Signatur SGSV 2261.
Scharffs Amtszeit wurde durch die Herrschaft der Nationalsozialisten geprägt, die zunehmend auch sein akademisches Umfeld beeinflusste. Scharff selbst stand dem NS-Regime und seiner Ideologie ablehnend gegenüber. Er nutzte die verbliebenen Spielräume und setzte sich nachdrücklich für sein Institut, die Sammlung, seine Studenten und Studentinnen und für ein Festhalten an wissenschaftlichen Standards ohne ideologische Beeinflussung ein, auch wenn ihn das häufig auf Konfrontationskurs mit den Anhängern der Nazi-Herrschaft in Fakultät und Universitätsleitung brachte.
Das Lehrangebot in der Ägyptologie war zu seiner Zeit sehr vielfältig und umfasste fast alle Aspekte der Ägyptologie. Ergänzt wurden die Vorlesungen und Seminare von Scharff durch Kurse zur koptischen Sprache, die Wilhelm Hengstenberg, Professor für Sprachen des christlichen Orients abhielt, sowie durch Veranstaltungen von Theodor Dombart, der ab 1940 apl. Professor für Geschichte der Baukunst im Alten Orient und in der Antike an der LMU war. Scharff gelang es, die Studentenzahlen der Ägyptologie deutlich zu erhöhen, und so wurden nach Angaben Scharffs bei ihm allein zwischen 1932 und 1942 neun Studenten und Studentinnen promoviert; außerdem gab es insgesamt drei Habilitationen zu seiner Zeit (Hellmut Brunner 1940/41, Hans Wolfgang Müller 1946 und Hanns Stock 1947).
Scharff war zunächst für alle Angelegenheiten von Institut und Sammlung alleine zuständig. Erst nach jahrelangen Bemühungen bekam er 1938 endlich eine bezahlte Assistentenstelle für die Ägyptische Sammlung genehmigt, die er ab dem 1.1.1939 mit Hellmut Brunner (11.5.1913–18.2.1997) besetzte. Brunner hatte bereits seit seiner Promotion 1936 als freiwilliger, d. h. unbezahlter, Assistent am Seminar mitgearbeitet.
Abb. 7: Schloss Hohenburg bei Lenggries (https://de.nailizakon.com/l/02-by/lenggries/schloss-hohenburg.html).
Ab 1942 zeigte der 2. Weltkrieg unmittelbare Auswirkungen auf die Münchner Ägyptologie. Wegen der zunehmenden Luftangriffe auf die Stadt öffnete Scharff die Sammlung nicht wie geplant nach der üblichen Winterschließung (wegen des Fehlens einer Heizung in den Räumen!) im Mai 1942 für die Öffentlichkeit, sondern verpackte den größten Teil der Objekte in Kisten und ließ sie nach Schloss Hohenburg bei Lenggries im Isarwinkel auslagern (Abb. 7). Der Seminarbetrieb ging zunächst weiter. Aber in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1943 fiel eine Sprengbombe in den Fstsaalbau. Scharff fuhr noch in der Nacht per Fahrrad von seiner Wohnung in Nord-Schwabing zur Residenz und versuchte mit Unterstützung von Studenten und Hitlerjugend, möglichst viel von der Ausstattung des Seminars zu retten. Die Bibliothek konnte vollständig geborgen werden. Als Ausweichquartier diente zunächst ein großer Raum in der Gisela-Oberschule in der Arcisstr. 65. Aufgrund zunehmender Luftangriffe entschloss sich Scharff im April 1944 auch den größten Teil der Seminarbibliothek nach Schloss Hohenburg zu verlagern – ein weiser Entschluss wie sich bald zeigte! Nur ein kleiner Teil der Bibliothek, das für die Lehrveranstaltungen dringend benötigte Büchermaterial, verblieb in München und wurde im Zimmer 113 des Hauptgebäudes untergebracht. Auch die unter Scharffs Ägide stark angewachsene Sammlung von fast 3000 Diapositiven sowie die Photosammlung wurden dort aufgestellt. In der Nacht vom 24. auf den 25. April 1944 kam es zum bis dahin schwersten Bombenangriff auf München, u. a. wurde die Residenz fast völlig zerstört. Auch einige Räume des Ägyptologischen Seminars im Festsaaltrakt wurden durch Feuer verwüstet. Damit existierten die Räume der Ägyptologie in der Residenz nicht mehr. Es kam noch schlimmer: Bei schweren Bombenangriffen im Juli 1944 wurde am 12./13. Juli auch der größte Teil des Hauptgebäudes der Universität zerstört (Abb. 8), und die im Raum 113 aufgestellten ägyptologischen Bücher sowie die Dia- und Photosammlung wurden dabei vernichtet.
Abb. 8: Zerstörter Lichthof des Hauptgebäudes der LMU; © Foto: Universitätsarchiv München (UAM), Fotosammlung.
In München ließ sich jetzt keine ägyptologische Forschung mehr betreiben, aber Scharff versuchte, auf Schloss Hohenburg eine Art „Notseminar“ einzurichten: Er mietete ein Übernachtungszimmer auf dem Schloss an, in dem er zeitweise selbst wohnte. Sein Versuch, auch einige seiner fortgeschrittenen Studenten in Lenggries unterzubringen, scheiterte aber an der Einquartierung vieler in München ausgebombter Personen auf dem Land.
Mit dem Verlust der Diasammlung wollte sich Scharff nicht abfinden. Durch seine guten Kontakte zum Berliner Museum gelang es ihm, etwa 1000 Duplikate von dortigen Aufnahmen zu erhalten. Die Dias aus Berlin sind heute noch Teil der Diathek des Instituts. Scharff musste im Herbst 1944 selbst mit der Bahn nach Berlin fahren, um die Bilder abzuholen, da es keine Paketbeförderung mehr gab. Bei der Rückfahrt kam der Zug in einen Fliegeralarm und Scharff erlitt einen leichten Schlaganfall, von dem er sich zwar bis zum nächsten Frühjahr wieder erholte, der aber seine Gesundheit nachhaltig schädigte und letztlich zu seinem frühen Tod einige Jahre darauf führte.
Nach Kriegsende stand die LMU vor einem in jeder Hinsicht schwierigen Neuanfang. Da Scharff einer der wenigen unbelasteten Professoren seiner Fakultät und seine ablehnende Haltung zum NS-Regime an der Universität allgemein bekannt war, kam ihm eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau zu. Er gehörte zu der kleinen Gruppe von 15 Professoren, die am 15. Mai 1945 den Altphilologen Albert Rehm zum neuen kommissarischen Rektor der LMU bestimmte. Scharff wurde in mehrere Ausschüsse berufen, die sich um die Entnazifizierung des Lehrkörpers und die Erarbeitung neuer, demokratischer Grundregeln kümmerten. Im Februar 1946 wurde er auch zum provisorischen Dekan der Philosophischen Fakultät ernannt.
Das Entnazifizierungsverfahren für Scharff selbst verlief unproblematisch: Im Januar 1946 wurde er von der Militärregierung in seiner Stelle als ordentlicher Professor an der LMU bestätigt und im März 1947 von der Spruchkammer X als vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus nicht betroffen eingestuft. Für die meisten der mit dem Ägyptologischen Seminar verbundenen Personen galt Ähnliches, einzig Hellmut Brunner wurde als NSDAP Anhänger und Ex-Parteigenosse sowohl als Universitätsdozent als auch als Assistent an der Ägyptischen Sammlung entlassen.
Die Seminarbibliothek konnte im Dezember 1945 wieder nach München zurückgebracht werden. Sie wurde zunächst eng gedrängt im Zimmer 132 des Hauptgebäudes aufgestellt, in einem Trakt der den Krieg einigermaßen überstanden hatte. Verantwortlich für Transport und Wiederaufstellung war Hanns Stock (7.10.1908–23.7.1966), der am 1. September 1946 auch zum Assistenten der Ägyptischen Sammlung ernannt wurde. 1947 habilitierte sich Stock und übernahm bald viele Aufgaben von Scharff, inkl. der Vorlesungen, weil sich dessen Gesundheitszustand ab 1948/49 deutlich verschlechterte.
1946 mussten zunächst einmal neue Räume für Sammlung und Seminar gefunden werden; beides wollte Scharff auf jeden Fall zusammenhalten, was in der weitgehend kriegszerstörten Münchner Innenstadt kein leichtes Unterfangen war. Die Ägyptische Sammlung befand sich seit Kriegsende in den Kellerräumen des Central Collecting Point (CCP) der US-Militärregierung in der Arcisstr. 12 (dem ehemaligen „Führerbau“) und ab 1947 in der Arcisstr. 10 (dem ehemaligen Verwaltungsbau der NSDAP). Nachdem sich andere Pläne zerschlagen hatten, kam das Seminar ab September 1947 im sog. Postbau des CCP in der Arcisstr. 8 unter. Dies war nur eine Interimslösung für das Seminar, denn etwa ein Jahr später, wohl im Spätsommer 1948, erfolgte der Umzug in die Arcisstr. (jetzt Katharina-von-Bora-Str.) 10 und damit in das Gebäude, im welchem sich das Ägyptologische Institut bis heute befindet. Der Kampf um ausreichend Räume setzte sich innerhalb des Hauses nahtlos fort und dauert bis zum heutigen Tage an …
Am 12. November 1950 verstarb Scharff mit 58 Jahren an den Folgen eines zweiten Schlaganfalls. Die Leitung von Seminar und Sammlung wurde zunächst nur kommissarisch an Hanns Stock übergeben, den sich Scharff auch als Nachfolger gewünscht hatte.
Am 15.1.1952 wurde Stock (Abb. 9) zum ordentlichen Professor für Ägyptologie an der LMU ernannt und übernahm auch – immer noch ohne Extra-Honorar wie sein Vorgänger – die Direktion der Ägyptischen Staatssammlung. Für die Münchner Ägyptologie gestalteten sich die 50er Jahre schwierig: Das Seminar war sehr beengt in der Arcisstr. (ab 1956 Meiserstr.) 10 untergebracht, für die Wiederaufstellung der Ägyptischen Sammlung gab es immer noch keine Räume, und Stock verbrachte mehr Zeit in Ägypten als in seinem Institut. Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) hatte ihm 1954 die Leitung des DAI Kairo angetragen, was Stock zunächst ablehnte, doch er übernahm die Grabung des DAI in Abusir. Für deren Durchführung und ab Mitte 1955 dann doch für die kommissarische Leitung des DAI Kairo ließ er sich ab 1954 immer wieder für längere Zeiträume beurlauben. Ein großer Teil der Vorlesungen in München wurde daher zu dieser Zeit von Hans Wolfgang Müller übernommen, der 1952 zum außerordentlichen Professor für Ägyptologie an der LMU ernannt worden war. Außerdem hielten Jürgen von Beckerath und Ursula Heckel, die beide noch unter Scharff in den 40er Jahren studiert hatten, Kurse ab. Ende 1957 entschied sich Stock endgültig für den Posten des DAI-Direktors in Kairo und gab sein Ordinariat an der LMU auf.
Abb. 9 (links): Hanns Stock (aus MDAIK 21, 1966, Frontispiz).
Abb. 10 (rechts): Hans Wolfgang Müller (aus ZÄS 119, 1992, S. I).
Ihm folgte Hans Wolfgang Müller (Abb. 10), der am 8.7.1958 zum ordentlichen Professor für Ägyptologie ernannt wurde und damit auch die Leitung der Ägyptischen Sammlung übernahm. Ihm gelang es endlich, das schon von Scharff verfolgte Ziel umzusetzen, alle ägyptischen Denkmäler des bayer. Staates zu vereinigen. Die nach der Gründung der Ägyptischen Staatssammlung 1935 noch in der Glyptothek verbliebenen ägyptischen Objekte wurden in den frühen 1960er Jahren in den Besitz der Ägyptischen Sammlung überführt.
Müllers besonderes Interesse galt der ägyptischen Kunstgeschichte. Unter seiner Ägide nahm das Münchner Seminar in den 60er Jahren einen großen Aufschwung. Viele seiner zahlreichen Studenten besetzten später wichtige Posten in der deutschsprachigen Ägyptologie. Mit besonderer Hartnäckigkeit verfolgte er die Wiederaufstellung der Ägyptischen Sammlung, die immer noch größtenteils in den Kellerräumen der Meiserstr. 10 schlummerte. Nachdem er im Sommer 1966 mit einer Sonderausstellung von Teilen der Sammlung im Erdgeschoss der Meiserstr. 10 große öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung für eine Neueröffnung errungen hatte, war das Kultusministerium endlich bereit, neue Räume für die ägyptischen Altertümer zur Verfügung zu stellen. Und so konnte ab 1970 die „Staatliche Sammlung Ägyptischer Kunst“, wie sie nun hieß, in Räumen des Hofgartenflügels der Residenz öffentlich aufgestellt werden. Damit war die Ägyptische Sammlung wieder ganz in die Nähe ihres ursprünglichen Ortes unter Scharff zurückgekehrt.
Abb. 11: Winfried Barta; © Foto: M. Ullmann.
Mit dem Ende der Dienstzeit von Müller als Ordinarius ab dem 1.4.1974 erfolgte ein bedeutender Einschnitt: Die Leitung der Sammlung wurde vom Lehrstuhl gelöst und in einen – endlich auch bezahlten – Posten umgewandelt. Die Nachfolge Müllers am Institut übernahm 1974 Winfried Barta (20.8.1928–27.10.1992, Abb. 11), die an der Sammlung 1975 Dietrich Wildung. Seitdem sind das Staatliche Museum Ägypischer Kunst (SMÄK), wie es heute heißt, und das Institut für Ägyptologie und Koptologie an der LMU München personell getrennt. Museum und Institut bleiben aber durch gemeinsame Forschungsprojekte und andere Formen der Zusammenarbeit verbunden und seit dem Umzug des SMÄK in den Neubau an der Gabelsbergerstraße sind Museum und Institut auch räumlich wieder näher zusammengerückt. Und so finden auch heute, wie zu Zeiten von Alexander Scharff, Lehrveranstaltungen im direkten Kontakt mit den altägyptischen Objekten im Museum statt.
Ordinarien für Ägyptologie an der LMU
1906–1922 | Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing |
1923–1930 | Wilhelm Spiegelberg |
1932–1950 | Alexander Scharff |
1952–1957 | Hanns Stock |
1958–1974 | Hans Wolfgang Müller |
1974–1992 | Winfried Barta |
1995–2009 | Günter Burkard |
ab 2010 | Friedhelm Hoffmann |
Literaturverzeichnis
- Beckh, Thomas: Das Seminar für Ägyptologie der Ludwig-Maximilians-Universität München im 20. Jahrhundert, unpublizierte Magisterarbeit an der LMU, München 2002.
- Beckh, Thomas: Das Institut für Ägyptologie der LMU München im Nationalsozialismus, in: Kraus, Elisabeth (Hrsg.), Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze Teil I, Beiträge zur Geschichte der LMU München Bd. 1, München 2006, 249–297.
- Dahms, Jan-Michael / Schlüter, Arnulf / Ullmann, Martina: Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing and the Egyptian collections in Munich – a brief history, in: Petersen, L., Van den Bercken, B., The Bissing Link. The collections and network of Egyptologist F. W. von Bissing (1873–1956), Leiden (in Drucklegung).
- Gertzen, Thomas: Wilhelm Leeser Spiegelberg (1870–1930). Der Ägyptologe hinter den Josephsromanen, Vaterstetten 2017.
- Gertzen, Thomas / Raulwing, Peter: Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing im Blickpunkt ägyptologischer und zeithistorischer Forschungen: Die Jahre 1914 bis 1926, in: Schneider, T., Raulwing, P. (Hrsg.), Egyptology from the First World War to the Third Reich: ideology, scholarship, and individual biographies, Leiden 2013, 34–119.
- Grimm, Alfred / Schoske, Sylvia: Wilhelm Spiegelberg als Sammler, R. A. M. S. E. S. 1, München 1995.
- Grimm, Alfred: Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing. Ägyptologe, Mäzen, Sammler, R. A. M. S. E. S. 5, München 2010.
- Ullmann, Martina: Das Ägyptologische Seminar der LMU München im „Dritten Reich“: zwischen Anpassung und Verweigerung, in: Gertzen, T. et al. (Hrsg.), „Semitische Wissenschaften“? Ägyptologie und Altorientalistik im „Dritten Reich“, Göttinger Orientforschungen (in Drucklegung).
Quellenhinweis
Das benutzte Quellenmaterial besteht in erster Linie aus Personal-, Seminar-, Fakultäts- und anderen Akten der LMU (Universitätsarchiv München), aus Akten des Bayer. Kultusministeriums, des Ägyptologischen Seminars und der Ägyptischen Staatssammlung (Bayer. Hauptstaatsarchiv) sowie Spruchkammerakten (Staatsarchiv München) und Zeitungsartikeln (Stadtarchiv München).