Ägyptologie und Koptologie
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Untersuchungen zur Lebenswelt einer Kultgemeinschaft im griechisch-römischen Ägypten am Beispiel von Tuna el-Gebel

  • Projektleitung: Dr. des. Mélanie Flossmann-Schütze
  • Projektmitarbeiter: Dr. Edith Bernhauer (Archäologie), Patrick Brose (Vermessung), PD Dr. Jörg Fassbinder (Geophysikalische Prospektion), Prof. Dr. Friedhelm Hoffmann (Demotische Texte), Mandy Mamedow, M.A. (Keramik), Florian Rösch (Kleinfundbearbeitung)
  • Fördergeber: Collegium Aegyptium (Frühjahr 2012), Münchner Universitätsgesellschaft MUG (Frühjahr 2013), Graduate School "Distant Worlds" (seit November 2014), LMU Mittel für Gleichstellung in Forschung und Lehre (Oktober 2015-April 2016)
  • Kooperationspartner: Egyptian Ministry of Antiquities – Cairo, Inspectorate of Tuna el-Gebel – Mallawi, German Archaeological Institute – Cairo, French Institute For Oriental Archaeology – Cairo, Graduate School "Distant Worlds" – LMU Munich, ArcheoBioCenter – LMU Munich, Egypt Exploration Society EES

Seit November 2014 ist das Projekt "Untersuchungen zur Lebenswelt einer Kultgemeinschaft im griechisch-römischen Ägypten am Beispiel von Tuna el-Gebel" an der Graduiertenschule "Distant Worlds" der Ludwig-Maximilians-Universität München beheimatet. Die auf drei Jahre angelegte Untersuchung hat zum Ziel, erstmalig die tatsächliche Lebenswelt und das Zusammenleben einer religiösen Organisation im ptolemäer- und römerzeitlichen Ägypten anhand der Analyse religiöser, wirtschaftlicher, institutioneller und sozialer Aspekte zu erschließen. Das Vorhaben basiert auf archäologischen, ikonographischen und schriftlichen Befunden der jüngeren Grabungen der Joint Mission Cairo-Munich in dem Areal der Tiernekropole von Tuna el-Gebel. Dieses Projekt wird im Rahmen der Graduiertenschule in der Forschungsachse "organisation of coexistence" durchgeführt und trägt darüber hinaus zur Achse "dealing with dissent" bei.

Es ist oft nicht bekannt, dass das "Ibiotapheion" von Tuna el-Gebel an verschiedenen sakralen Einrichtungen angeschlossen war und von einer Kultgemeinschaft betreut wurde, deren Mitglieder in unmittelbarer Nähe des Tierfriedhofes in einer aus Turmhäusern bestehenden Siedlung gelebt haben. Diese Gemeinschaft war u.a. für die Organisation, den Ausbau und den Erhalt der Institution des Ibiotapheion verantwortlich. Das Forschungsprojekt konzentriert sich zum einen auf die siedlungsarchäologischen Untersuchungen des urbanen Zentrums der Gemeinde, welches im Mittelpunkt der archäologischen Aktivitäten der letzten Jahre vor Ort stand. Zum anderen werden die bislang bekannten schriftlichen Quellen, die aus Tuna el-Gebel stammen, einbezogen und im Hinblick auf ihren Aussagewert bezüglich der ökonomischen, juristischen, religiösen und sozialen Funktion der Gemeinschaft ausgewertet.

Im ersten Teil des Vorhabens wird die Siedlung von Tuna el-Gebel anhand siedlungs- und wirtschaftsarchäologischer Herangehensweisen untersucht. Grundlage hierfür sind ausführliche archäologische und archäometrische Dokumentationen, u.a. Magnetometerprospektionen (Jörg Fassbinder), die durch ein interdisziplinäres Team in den letzten Jahren erarbeitet und zusammengetragen wurde. Die Auswertung erfolgt nach der erstmals von Herbert Jankuhn systematisch beschriebenen siedlungsarchäologischen Methode, die 1. den naturräumlichen Kontext, 2. die innere Siedlungsstruktur, d. h. räumliche Anlage und innere Organisation, und 3. die äußere Siedlungsstruktur, also die Einbindung in ein (über)regionales Netzwerk, sowie die Ausstattung mit Rohstoffquellen und Nekropolen in den Vordergrund stellt.

Vier Untersuchungsschwerpunkte lassen sich aufgrund der vorhandenen Materialbasis festmachen: Der erste Aspekt umfasst die Siedlungsgeschichte von der ursprünglichen Funktion als Wohnareal in der Spätzeit und griechisch-römischen Epoche bis zur Nachnutzung als Bestattungsplatz in byzantinischer Zeit. Der zweite Schwerpunkt beschäftigt sich mit der Rekonstruktion der ökonomisch-sozialen Funktion der Lebensräume und Kultstätten anhand von Befunden und ihren Kontexten. Hierbei soll das komplexe wirtschaftliche Netzwerk von Zuwendungen durch und Abgaben an den Staat sowie die interne und externe Versorgung der Siedlung aufgezeigt werden. Diese Fragestellung wird im Rahmen des Projektes "Contextes et Mobiliers" des Institut français d’archéologie orientale – Le Caire (Projektleiterin: Pascale Ballet) bearbeitet. Die dritte Leitfrage befasst sich mit den Kulträumen und Ritualhandlungen innerhalb der Siedlung, in den Wohnhäusern und der Tiernekropole. Kleinere Kultstellen und -räume für vergöttlichte Ibisse und Paviane konnten in einigen Gebäudekomplexen entlang der Hauptachse identifiziert werden. Der letzte Schwerpunkt des Projektes liegt auf der Bautechnik der Turmhäuser, ihren öffentlichen, privaten und sonstigen Nutzungsmöglichkeiten. Die bislang untersuchten Turmhäuser in Tuna el-Gebel weisen fast alle dieselben architektonischen Besonderheiten auf und sind wahrscheinlich im Rahmen der beiden Hauptbauphasen als Plansiedlung errichtet worden.

Die Rekonstruktion des Zusammenlebens bezieht ausdrücklich Textquellen mit ein, die im zweiten Teil des Projektes ausgewertet werden. Hierfür stehen nicht nur schriftliche Hinterlassenschaften, die in den letzten Jahren in situ in der Siedlung, den Tempelanlagen und der Tiernekropole gefunden wurden, sondern auch zum Teil unpublizierte Textquellen aus den älteren Grabungen zur Verfügung. Die Klassifikation der Schriftbelege kann in unterschiedliche Textgattungen erfolgen, die alle einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Lebenswelt der Kultgemeinschaft, so wie zur Ökonomie, Jurisdiktion, Kulthandlungen, Prosopographie und Onomastik liefern.

Tuna el-Gebel bietet sich aufgrund seiner langen Nutzungsphase vom 7. Jh. v. Chr. (Gründung Tiernekropole) bis in das 6. Jh. n. Chr. als herausragendes Beispiel an, um strukturelle Veränderungen der Kulttopographie, der urbanen Entwicklung und des Zusammenlebens unter ägyptischer, persischer, ptolemäischer und römischer Herrschaft zu untersuchen.

Das neue durch die Egypt Exploration Society mit einem "EES Fieldwork & Research Award" ausgezeichnete Projekt "The mountain settlement at Tuna el-Gebel" (Projektleitung: Dr. Daniela Rosenow) ist eingebettet in das hier vorgestellte siedlungsarchäologische Projekt. Es sieht eine umfassende Aufnahme der Siedlung auf dem Berg von Tuna el-Gebel vor.